Favoriten
- Rut Bantay
- 6. März
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 12. März
Derzeit haben wir so viele neue junge Kollegen bei uns im Orchester, die ich Ihnen aber mit der Zeit noch nach und nach vorstellen werde. Diese technisch wie musikalisch so wunderbaren Instrumentalisten, gehören definitiv schon einer anderen Generation an als ich und dennoch lassen sie mich zurückerinnern (- das klingt hier fast, als würde meine eigene Großmutter sprechen), an meinen Übergang vom Studium zu ersten Praktika über eine Akademie zur festen Stelle. Während den letzten Semestern vor meinem Abschluss habe ich eine zeitlang bei Arbeitsphasen der Jungen Deutschen Philharmonie mitgewirkt, jenem bundesweitem Studentenorchester, welches sich mehrmals im Jahr zu Probephasen mit anschließenden Konzerten oder Tourneen trifft und für mich eine perfekte Schnittstelle im Übergang zur Orchestermusikerin darstellte. Anders als jetzt im Berufsorchester, sind zwar die Konzertprogramme vergleichbar aufgebaut, mit Ouvertüre, Solokonzert gespielt vom namhaften Instrumentalisten und einer großen Sinfonie, geleitet ebenfalls von renommierten Dirigenten, ist die Probenzeit aber ungefähr doppelt so lang und beinhaltet auch Proben nur in den einzelnen Stimmgruppen, wiederum angeleitet durch erfahrene Orchestermusiker. Man hat die Möglichkeit so unglaublich tief und sehr detailliert in die Vorbereitung für die Gesamtproben zu gehen und wenn man so will, fassen diese vielen Probeeinheiten das zusammen, was jetzt im Berufsalltag an individueller häuslicher Vorbereitung Standart ist.
Einmal haben wir während so einer Arbeitsphase die „Symphonie fantastique“ von Hector Berlioz einstudiert. Dieses großangelegte, fünfsätzige Werk, quasi in Nachfolge von Beethovens „Pastorale“ eine wirkliche Programmmusik, ist mir so eindrücklich „hängen“ - oder „in den Fingern“ geblieben bis heute. Gleich verrate ich Ihnen, welcher der Sätze mein Favorit ist, bzw. warum. Auch wenn Sie natürlich selbst sich belesen können oder am Besten zum Beispiel am Sonntag um 18Uhr zu unserem Konzert im Mannheimer Rosengarten mit vorheriger Einführung kommen können,
hier erst mal noch einige Worte zu diesem genialen Werk: im Original lautet die Sinfonie „Épisode de la vie d’un artiste, symphonie fantastique en cinq parties“, also Episode aus dem Leben eines Künstlers, fantastische Sinfonie in fünf Teilen, welche 1830 in Paris uraufgeführt wurde. Berlioz bezeichnete sein Werk selbst als musikalisches Drama und gliedert es daher in fünf Sätze analog zu den Akten des klassischen Dramas. Das Leitmotiv, die idée fixe, das Motiv der „Geliebten“, wird in den Sätzen, die einzelnen Szenen zugeordnet sind, verarbeitet. Die Geliebte ist dabei aber eine tatsächlich reale Frau und Anlass der Komposition überhaupt war heftiger Liebeskummer. Berlioz hatte 1827 eine Aufführung von William Shakespeares „Hamlet“ besucht und sich Hals über Kopf in die Darstellerin der Ophelia, die Schauspielerin Harriet Smithson, verliebt. Er schrieb ihr daraufhin unzählige Liebesbriefe, die sie alle nicht beantwortete. Als sie Paris verließ, hatte sie immer noch nicht reagiert. Stattdessen schrieb er sich seinen „Liebeskummer“ durch die „Symphonie fantastique“ von der Seele. Smithson hörte das Werk zwei Jahre später und erkannte endlich das Genie des Komponisten. Die beiden trafen sich und heirateten 1833. Das bedeutete leider noch kein Happy End, denn die Ehe wurde mit den Jahren immer problematischer und konfliktreicher und letztlich trennte sich das Paar.
Im ersten Satz, „Träumereien, Leidenschaft, Largo in c-Moll, begegnet ein Musiker einer Frau, die vollkommen seinem Ideal entspricht. Im Inneren des Künstlers erscheint oder erklingt sie immer in Verbindung mit einem musikalischen Gedanken, dem Leitmotiv, die idée fixe. Der zweite Satz, „Un bal“, beschreibt eine Ballszene: der Verliebte sieht die Frau wieder beim Tanz, bald bemerkt er aber, dass sie sich gar nicht für ihn zu interessieren scheint, während die schwungvolle Tanzmusik immer weiter geht und wilder wird.
Im dritten Satz, „Auf dem Lande“, hat sich der Musiker für seine Seelenruhe in die Natur begeben, dort tritt jedoch wieder seine „idée fixe“ auf und schmerzlich kommen dem jungen Mann Zweifel an deren Treue. Oboe und Englischhorn halten eine Art Zwiegespräch der Schäfer, Donnergrollen ertönt wie von Ferne.
Der vierte Satz, Der Gang zum Richtplatz oder „Marche au supplice“ beschreibt die Gewissheit des Künstlers, dass seine Liebe verschmäht wird: er nimmt Opium und versinkt in einen tiefen Schlaf. Im wirren Traum ermordet er seine Geliebte und zum Tod verdammt wird er zum Richtplatz gebracht. Kurz vor dem „akustischen Fallbeil“ erklingt nochmals die „idée fixe“.
Im Fünften und letzten Satz findet sich die Hauptfigur auf einem Hexensabbat, „Songe d’une nuit du Sabbat“, wieder; gellendes Gelächter ist zu hören. Die Idée fixe wird mehrmals in einer verzerrten, gemeinen Variation wiedergegeben von der hohen, schrillen Es-Klarinette, danach stimmt das gesamte Orchester ein: Die einstige Geliebte tritt als Hexe auf, darauf läuten die Totenglocken und leiten eine Parodie des „Dies Irae-Motivs“, des Jüngsten Gerichts aus der Totenmesse, ein. Am Ende mischen sich beide Melodien zu einer wahrlichen Höllen-Musik.
Vor lauter Schreiben hätte ich es jetzt beinahe vergessen: meine Auflösung… ich finde den vierten Satz, neben der gesamten Sinfonie, wirklich „phantastisch“ und so plastisch und genial komponiert! Meine Lieblingsstelle sind die „wild“ gewordenen Fagotte, mit Ihren virtuosen Achtelketten, von meinen Kolleg*innen ausgezeichnet gespielt.
(hier bei ~1min 25…)
Achja: Falls Sie am Sonntag verhindert sind, am Samstag gibt es im nahen Worms um 20Uhr im „Das Wormser“ auch schon die Gelegenheit uns mit dem gleichen Programm zu hören. Außerdem spielen wir als Auftakt die Ouvertüre „Captain Blood“ von Korngold und das melancholische, jazzige, kadenzartige und vor allem so lyrisch gesanglich (gespielte) Cellokonzert von John Williams mit unserem Solisten Eckart Runge, die Leitung obliegt Gastdirigent dieser Woche Marcus Bosch.
Bis dahin, bis bald,
Ihre Rut Bantay

Sehr umfangreich und lesenswert geschrieben.
Schön wenn sich jemand die Zeit nimmt und mit Muse solche Artikel, Infos, Berichte schreibt oder auch aus dem Fundus des Alltags Geschichten erzählt. Damit den Blogg für die Leser wertvoll und lebendig garniert.
Ja, dann freue ich mich auf die wild gewordenen Fagotte….
Prima 🤩