Meine Kinder besitzen beide Freundebücher, - vorallem bei meiner Tochter ist es noch hoch im Kurs-, welches sie gerne an Schulkameraden und Freunde weitergeben: dort sind vorgefertigte, auszufüllende Seiten, auf denen die Kinder eine Art Steckbrief über sich schreiben können. So erfährt der Besitzer des Buches nicht nur Adresse und Geburtstag, sondern auch Spitznamen, Hobbys, Lieblingsbeschäftigungen-, -Essen und Vieles mehr: ein sogenanntes Kurz-Portofolio zu jedem einzelnen, meist sogar mit Foto, entsteht.
Edward Elgar hat in seinem vermutlich bekanntestem Werk, den Enigma-Variationen, ebenso ein Freundebuch angelegt und dabei die Kurz-Charakteristiken natürlich auf „klingende“ Weise niedergeschrieben: im Jahr 1898 sind so 14 Variationen entstanden. Das Stück beginnt jedoch verhalten und melancholisch: ob dies auf Elgar selbst hindeutet, der sich seiner immer wieder sehr unsicher und manisch depressiv war?
Jede Variation ist mit den Initialen des Widmungsträgers oder der -trägerin überschrieben.
Die erste Variation hat Elgar für seine Frau komponiert: eine zufällig erdachte Melodie, die ihr sehr gefallen hat.
Variation Nummer zwei für seinen Freund Hew David Stewart-Powell, in der er dessen seltsame Klavierkaskaden zum Einspielen karikiert.
In Variation 6 für Isabell Fitton, einer Amateurbratschistin, wird deren etwas grobes und ungelenkiges Spiel auf‘s Korn genommen, welches daher aber von unserer Solobratschistin quasi viel zu schönklingend dargeboten wird.
„Nimrod“, die für mich innigste und berührendste Variation Nr.9, ist August Jaeger, seinem engsten Freund und Förderer, gewidmet. Der Titel dieser Variation geht auf eine Bibelstelle zurück, in der „Nimrod“ als „(…) Jäger vor dem Herrn“ bezeichnet wird. Eigentlich zeichnet es nicht ein Porträt von Jaeger, sondern beschreibt eine Geschichte, die sich zwischen Elgar und ihm ereignet hat. Im Oktober 1898 war Elgar wie „blockiert“, ja krank, was das Komponieren betraf und im Begriff, alles aufzugeben. Sein Freund Jaeger versuchte ihn aufzumuntern, indem er über Beethoven sprach, der ebenfalls viele Sorgen hatte, aber immer schöne Musik schrieb und er sang dann das Thema des zweiten Satzes der Sonate Pathétique. Elgar enthüllte Dora Penny, ihr ist die Variation 10 gewidmet, in der fast liebevoll ihr kleines Stottern nachgeahmt wird, später, dass in Nimrods ersten Takten das „Patétique-Thema“ anklingt; „(…)nur ein Hinweis, kein Zitat“.
Desweiteren wird noch ein Organisten-Freund und dessen Bulldogge musikalisch beschrieben, eine weitere Variation ist dem Cellisten Basil Nevinson gewidmet und schlussendlich vertont sich Elgar in der letzten Variation selbst.
Auf dem Programm des ersten Teils unseres Konzertes steht „Le Tombeau de Couperin“ von Ravel, in dem besonders unsere fabelhaften Holzbläser im Mittelpunkt stehen und mit der wohl hierzulande bekanntesten Klarinettistin, Sabine Meyer, spielen wir das Konzert von Aaron Copland. Ein zweisätziges Juwel der Klarinettenliteratur, dessen erster Satz leise, samtig und herrlich lyrisch daherkommt und dann in einem äußerst spritzigen zweiten Satz mündet, bei dem uns Musikern die Taktwechsel nur so um die Ohren fliegen, man einerseits meint den wilden Westen zu hören, sowie Anklänge zum Musical oder auch Jazztechniken auftauchen.
Hier für Sie noch die Übersicht unserer Spielorte der nächsten Tage, morgen geht es los im Feierabendhaus in Ludwigshafen, am Donnerstag spielen wir dann in Wörth und am Freitag in Landau:
An dieser Stelle, um den Werbeblock zu vervollständigen, auch schon eine herzliche Einladung zu unserem „Tag der offenen Tür“ am kommenden Sonntag, den 22.9. in den Räumen der Philharmonie in der Heinigstrasse 40. Dort starten wir traditionell um 11Uhr mit der öffentlichen Orchesterprobe, gefolgt von Kammermusik, Salonensemble zum Kaffee, Programm im benachbarten Klangreich und beschließen den musikalischen Tag wieder mit der Bigband „Swinging Birds“. Für das leibliche Wohl ist ebenso gesorgt und auch die kleinen Besucher werden auf ihre Kosten kommen.
Wir freuen uns auf Sie,
herzliche Grüße,
Rut Bantay
P.s: … noch ein kleiner, aber wie ich finde sehr tiefgründiger, wichtiger Nachtrag aus der heutigen Generalprobe: Elgar ist mit und durch seine Enigma-Variationen bekannt geworden, wie ich eingangs schrieb. Unser Chefdirigent fügte heute an, - er arbeitet ja gleichsam auch auf gleicher Position in „The Florida Orchestra“, - dass dieses Werk heute mehr denn je an Aktualität gewonnen hat: Edward Elgar hatte offensichtlich eine große Anzahl an Freunden, verschiedenster Wesensart und Denkweise um sich gescharrt und pflegte mit vielen einen intensiven Gedankenaustausch. Dabei muss man nicht immer einen Konsens finden oder gar gleicher Meinung sein, das Zuhören und miteinander sprechen (oder auch sich reiben bei Unstimmigkeiten) bereichert und macht tolerant und flexibel. Heutzutage, insbesondere in den USA, so Francis Eindruck, bildet die Gesellschaft, teilen sich die Menschen zumeist in „Meinungs- oder Gesinnungsgruppen“ auf, ob politischer oder anderer Art. Man bewegt sich nur innerhalb seiner Interessengruppe oder Neudeutsch „Bubble“, redet wenig mit anderen darüber hinaus. Heute Elgars Musik anzuhören kann das auch nicht unbedingt ändern, aber daran erinnern, weiterhin offen zu sein für seine Mitmenschen. Der Austausch stärkt die Gesellschaft und damit unsere Demokratie.
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